Mein Marathon 2007
Ich habe mal in den Tiefen des Netzes gekramt und einen alten Text von mir ausgegraben. Geschrieben habe ich ihn eine oder zwei Wochen nach meinem ersten, und bisher einzigen, Marathonlauf 2007 in Freiburg. Der Text war bisher nur auf der Seite meines damaligen Mitläufers Udo zu finden. Vermutlich geht es nur mir so, aber mir steigen beim nochmaligen Lesen die Gefühle ganz ganz hoch! Nicht-Läufer könnten demnach etwas irritiert sein. Los geht's:
Laufbericht vom Freiburg Marathon 2007
Mein Bericht hätte auch gut und gerne viermal so lang werden können, so viele Gedanken schwirren mir immer noch im Kopf herum. Immer und immer wieder bin ich den Lauf in dieser Woche durchgegangen. Und es ist immer noch ein affenstarkes Gefühl!
Vorbereitung
Frei nach Herbert Steffny. Nach einem ordentlichen Winter mit 30-60 Wochenkilometern bin ich im Januar in den 10-Wochen 3:30er Plan eingestiegen. Na ja, ich habe mich grob daran orientiert. Das einzige, was davon übrig blieb, waren die Wochenkilometer und die Tempodauerläufe. An langen Läufen kamen zusammen: 2x26, 28, 2x32 - der letzte davon zwei Wochen vor dem Wettkampf mit 12,5km Endbeschleunigung.
Zielzeit
Wäre eine Geschichte für sich. Als belegbare Vorraussetzungen bringe ich eigentlich nur die 20km in 1:34:07 aus Celle mit. Macht knapp 1:40 für den HM, also 3:30 für den Marathon plus 15 Minuten Debütantenaufschlag. Ganz abgesehen davon, dass auch über 100 Höhenmeter zu bewältigen sind und wir in die Halbmarathon-Läufer hinein laufen werden.
Die letzten zwei Wochen
Bauchschmerzen, Verstopfung, Appetitlosigkeit. Ich denke sogar an Übertraining. Laufen macht jedenfalls keinen Spaß mehr. Gut, dass das am Mittwoch vor dem Marathon vorbei ist. Am Abend vor dem Start feiern wir die Hochzeit von guten Freunden. Zwar gibt es nichts Gescheites zu essen, aber ich bin gut abgelenkt und falle um kurz nach Mitternacht hundemüde ins Bett.
2 Stunden vor dem Start
Ich trete aus dem Haus und treffe sofort auf Udo und seine Frau Ines. Wir unterhalten uns nett und schlendern ein wenig über die Marathon-Messe. Draußen ist es noch ziemlich kalt, und auch drinnen zittere ich ein wenig. Oder ist das die Aufregung? Da Ines unsere Taschen abgeben wird, können wir unsere Jacken bis kurz vorm Start anbehalten. Dann folgt das eigentlich nicht mehr geplante Einlaufen, da wir noch ein paar hundert Meter Umweg zum Start zurücklegen müssen. Kaum stehen wir in der 3:45er Region fällt auch schon der Startschuss.
Km1-2
Mein offizielles Ziel von 3:45 war nur Vorwand. Ich schiele auf 3:40 und will deshalb den ersten HM mit einer 5:15 Pace beginnen. Udo braucht einen Bremsläufer und so laufen wir den ganzen Lauf gemeinsam. Auf den ersten zwei Kilometern verlieren wir sicher 50 Sekunden auf den Zielschnitt, aber lieber so als anders herum.
Km 3
Nach der anfänglichen 4-spurigen Läuferautobahn wird die Strecke schmaler, wir erreichen den tiefsten Punkt des Laufes, die Strecke steigt leicht an. Wir hängen jetzt im Gedränge des 4:00-Pace-Läufers fest, aber die Geschwindigkeit passt.
Km 4-5
Im Bereich der ersten Wasserstelle zieht Udo das Tempo etwas an, und wir gehen an der 4:00 Stunden Meute vorbei.
Km 5,5
Vor der Blauen Brücke erwartet mich meine Schwester mit meiner ersten persönlichen Trinkflasche. Erstmal nur Wasser mit etwas Salz. Ein ausgeklügeltes System von Freunden soll mich unterwegs mit genügend Zuckerwasser versorgen. Iso-Drinks vertrage ich noch nicht. Üben!
Innenstadt
Erstaunlich schnell machen wir Zeit auf den geplanten Durchschnitt gut. Die Kilometerzeiten schwanken zwischen knapp unter 5 Minuten und 5:30. Die leichten Steigungen überall machen es schwer, konstant zu laufen. Bis zum höchsten Punkt kurz vor km 12 gebe ich mir aber 1 Minute Rückstand. Das sollte dann auf dem Weg zurück zum Start locker reinzulaufen sein.
Km 11
Ich muss mal. Die eineinhalb Liter Wasser bis 2 Stunden vorm Start waren wohl doch etwas zu viel. Macht nichts, ich habe ja schließlich auch das Pinkeln geübt, zumindest jedenfalls, wie ich möglichst wenig Zeit dabei verliere.
Km 12
Die Veranstalter des Freiburg Marathon werben ja groß damit, dass ganz viele Bands am Straßenrand stehen und musizieren. Das stimmt auch, und eine der besten des Tages steht hier vor dem Gasthaus Stahl. Meine. Gerade spielen sie unsere Interpretation von “The Dock Of The Bay”. Ich winke überschwenglich mit meiner Kappe um sie zu begrüßen.
Km 15
Der 3:45-Pace-Läufer ist überholt. Ich bin sehr zufrieden, dass wir uns so lange Zeit gelassen haben und nichts überstürzten. So ein Marathon ist schon lang, viel Zeit andere Leute einzuholen.Km 16
Meine besten Freunde erwarten mich mit einer tollen Überraschung. Auf mehreren Pappkartons haben sie meinen Spitznamen FLOJO geschrieben und feuern mich an. Natürlich haben sie auch meine Flasche mit Spezialgetränk a la Herbert Steffny dabei. Wasser, Zucker, Salz, O-Saft, Maisstärke. Das hatte ich natürlich vorher getestet, dennoch kriege ich nur ein Drittel der Flasche davon runter.
Km 17
Wir kommen nach Zähringen, und Udo fragt mich wie es mir geht. Blendend! Die Atmung ist locker, die Beine tun weh wie immer. Alles im grünen Bereich.Km 18
Wieso wird es jetzt so schwer? Egal, nichts anmerken lassen.
Km 20
Ich merke, dass ich schon ganz schön was getan habe. Ich dachte immer, erst ab km 25 wird es schwerer? Egal, muss ja weiter gehen. Kurz vor der Brücke vor Start und Ziel begrüßt mich mein Schatz mit meiner nächsten Trinkflasche. Ich drücke ihr einen Kuss auf, sage noch schnell, dass es gut läuft und schon bin ich wieder weg. Ein paar Typen hinter uns sind dann wohl gleich zu ihr hin und wollten auch ein Bussi.
Km 21
Die HM-Markierung sehe ich nicht. Gab es eine? Meine Uhr sagt mir, dass wir etwa 10-20 Sekunden langsamer als 1:50 sind. Die offizielle Zeitmessung sagt später 1:49:30. Komisch, bei km 21 war die Zeit schon durch.. Was mir später erst klar wird: Seit den frühen Kilometern des Rennens gab es kaum einen, der uns überholt hat. Auf den letzten Kilometern überhaupt keinen. Das wird sich auch bis auf eine Ausnahme nicht mehr ändern. Jetzt beginnt die heiße Phase. Gerade als wir wieder auf die Startgerade biegen sind alle 8500 Halbmarathon-Läufer gestartet. Schon auf der Berliner Allee weichen wir auf Bordsteine aus, um unser Tempo halten zu können.
Km 22-33
Überholen, abbremsen, ausweichen, Bordsteine, Zuschauer� Diese Strecke durch die Stadt ist zu klein für uns alle. Udo und ich quälen uns durch die Massen der langsamen Läufer. Vielen tippe ich auf die Schulter und sage freundlich "Achtung" oder "Entschuldigung". Ich kehre etwas stolz den Marathonläufer heraus und bin doch erstaunt, wie freundlich alle sind. Niemand beschwert sich, wenn ich ihn oder sie aus Versehen anremple. Und das passiert oft. Wir verlieren nicht nur Kraft, sondern auch etwas Zeit in diesem Getümmel. Ich bleibe aber ruhig, denn ich kann ja eh nichts daran ändern. Nur als es mit Gegenverkehr wieder am Schwabentor vorbeigeht in die Karthäuserstraße fühle ich mich doch veräppelt. Da läuft 20m vor mir der Zugläufer für 3:30. Der kann auch nicht schneller als wir gerade, es bleiben nicht mal Überholmöglichkeiten.Km 30
Es geht wieder an der Dreisam längs, aber der Fußweg ist zu schmal für alle. Gut, dass ich die Strecke so gut kenne, deswegen laufe ich viel hinter den Zuschauern auf dem Bordstein. Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich ganz schön kämpfen muss. Seit der halben Strecke ist es eigentlich immer schwerer geworden. Der Slalom durch die Stadt war anspruchsvoll, aber das lasse ich nicht gelten. Ich weiß, jetzt fängt der Marathon richtig an.
Km 32,5
Meine Schwester reicht mir die erste Flasche mit meinem Cola-Gemisch. Wieder bekomme ich nicht viel runter. Das Wasser an den Versorgungsständen ist viel besser. Dabei ist Cola eigentlich mein Leibgetränk. Auf vielen Radtouren daran gewöhnt, schreit mein Körper regelmäßig danach. Nur heute muss ich mich zwingen, ich weiß ich brauche den Zucker für die letzten Kilometer.
Km 33
Meine Band stimmt gerade “54-46” von Toots & The Maytals an. Haben wir nicht auch etliche eigene Lieder? Obwohl ich winke, bekommt niemand mit, dass ich schon wieder vorbeikomme, die sind alle konzentriert bei der Sache. Gut so, wir sind ja schließlich keine Spaßband. Nach dem Versorgungstand bringe ich meinen Lieblingsspruch des Tages zum letzten Mal an den Mann. Vor mir fällt ein HM-Läufer zum Trinken in den Gehschritt, so dass ich ihm ausweichen muss. “Laufen heißt der Sport!” rufe ich ihm zu. Das gute daran: Ich bin überhaupt nicht aus der Puste, die Fettverbrennung läuft noch nicht auf vollen Touren. Gut so!
Km 35
Seit etlichen Kilometern weiß ich nicht mehr, wie wir in der Zeit liegen. Gefühlsmäßig hatten wir am Wendepunkt vor km 33 mindestens eine Minute Rückstand. Und jetzt wird es erst richtig schwer. Ich laufe am Anschlag und bin mir sicher, weiter Zeit zu verlieren. Schon stelle ich mir eine lockere 3:42 im Ziel vor. Gar nicht schlecht, ich wäre hochzufrieden damit.
Km 37
Meine Freunde reichen mir meine letzte Trinkflasche, viel Beachtung schenke ich ihnen nicht.
Km 38
Es macht schon lange keinen Spaß mehr. Es ist anstrengend und sinnlos. Dann der Spruch der Sprüche von Udo: “Wenn es jetzt schweineweh tut, dann ist es genau richtig!” Wieso motiviert mich das? Weil es allen anderen, die was erreichen wollen, auch so geht. Udo kennt es, mein Vater kennt es von seinen Marathons, und in vier Wochen wird es meinem Kumpel Sören in Hamburg genauso gehen.
Km 39
Wieso spielt die Big-Band von vorhin nicht mehr?
Km 40
Stand das Schild vorher nicht viel weiter vorne? Und wieso ist diese Steinwurfdistanz bis zum Ziel noch 2km lang? Ich kenne die Gegend doch. Und wieso werden die ganzen Halbmarathon-Läufer so langsam? Die sind ja gerade mal warmgelaufen. Irgendwas in mir will aufhören. Ich beschließe weiterzulaufen, bis ich einen Grund gefunden habe endlich stehen zu bleiben. Ich höre in meinen Körper und suche angestrengt nach irgendwas. Schmerzen? Keine. Atmung? Schwerer, aber nicht am Limit. Dann also weiter!
Km 41
Wir biegen in die Kaiserstuhlstraße ein, die das nahe Ziel ankündigt. War die Straße schon immer so lang? Die HM-Läufer sind immer noch so lahm.
Km 41,?
Kurz vor der letzten Brücke. Meine Freundin sehe ich nur im Augenwinkel. Ich laufe, weil ich laufen muss. Udo schafft es doch, mich nochmal zu motivieren: “Wenn du jetzt noch was hast, dann lass es raus!” - und ich lasse es raus. Oben auf der Brücke beschleunige ich, ich gebe alles, weil noch was da ist. Jetzt geht es leicht abwärts. Ich stürme an den anderen Läufern vorbei. Noch einmal links, rechts im Zielkanal. Dann erblicke ich das Ziel und ich fühle, wie das Adrenalin in meine Adern strömt! Schlussspurt nach 42km, welch geiles Gefühl. Die Brutto-Zeit springt gerade auf 3:40 Stunden. Noch vor dem Zieleinlauf strecke ich meine Faust in die Höhe und schreie meine Freude heraus.
Ziel
Mit geballter Siegerfaust muss ich mehrmals laut schreien. Ein super Rennen, absolut am Limit, ein Traum! Gleichzeitig muss ich aufpassen, dass ich mich weiter bewege. Mein Kreislauf steht am Abgrund. Jetzt stehen bleiben und ich kippe um. Freudestrahlend umarme ich Udo und danke ihm für den tollen Lauf. Langsam gehen wir durch den Zielbereich. Die Apfelschorle bekomme ich nur schlückchenweise hinunter, Riegel überhaupt nicht, und das leckere Gebäck nur in kleinen Brocken. Wieso gibt’s hier kein Bier?
Danach
<
p>Das Bier gibt es eine Stunde später. Ich liege geduscht bei meiner Freundin vor dem Fernseher und habe sogar schon ein ganzes Brötchen verdrückt. Ich bin überglücklich und klammere mich die ganze Zeit an meine Finisher-Medaille. Das war ein ganz großer Tag in meinem Leben!