Lebenszeichen aus Norwegen - 02 - Ain't No Mountain High Enough
Hallo.
Zu Hause ist es doch am schønsten. Trondheim ist aber nicht mein zu Hause. Ausserdem hat es sich in den letzten zweieinhalb Wochen ganz schøn verændert. Es ist auf einmal warm hier! Norwegenwarm, 20 Grad halt. Das nennt sich hier aber Hochsommer. Dennoch bin ich fuer zwei Tage hierher zurueckgekommen und wohne in der leeren Wohnung zweier guten Freundinnen. Morgen geht es weiter nach Norden.
Nachdem ich letzte Woche einen sonnigen Tag in Bergen verlebt hatte, regnete es am Tag drauf bei meiner Abreise natuerlich wieder. Da ich mich nicht wieder durch die autobahnverseuchte Stadt quælen wollte, fuhr mich Jan-Trygves Vater weit aus der Stadt hinaus. Das sorgte aber auch nicht fuer trockeneres Wetter. Gluecklicherweise hat das “Statens vegvesen” - einfach mal laut lesen, dann ist klar was es bedeutet - viele Rastplætze gebaut, und davon haben viele auch ein Dach und ein Stueck Wiese fuer ein Zelt. Einer stand auch am verregneten Hardangerfjord. Die beschilderte Bitte, an den Rastplætzen nicht zu kampieren, ignoriert man als Radler einfach. Die Mitarbeiter, die am næchsten Morgen die Toilette instand setzten, haben mich auch nur freundlich nach meiner Reise gefragt.
Die næchsten Tage wurden huegelig. Østlich von Voss ging es bergan, damit ich nach einer kurzen Bahnfahrt durch den Berg die Strecke der bekannten Flåmbahn abwærts fahren konnte. Ein wenig weiter fuehrt der “Aurlandvegen” ueber die Huegel, durch die der længste Strassentunnel des Welt (25km) fuehrt. Bei einer Passhøhe von 1300m, 4m-Schneewænden auf der Hochplateau und Graupelschauer Ende Juni verstehe ich den Sinn des Tunnels! Zur Belohnung habe ich mich dann auf dem Campingplatz in Lærdal einquartiert, wo ich bei zwei Jungs aus Heide - die mit ihren insgesamt fuenf Kindern unterwegs waren - alkoholfreies Erdinger Weissbier geniessen durfte und Adrianos 3:2 erleben musste.
1434 Meter ueber Null hørt sich fuer die erfahrenen Alpenfahrern unter euch vielleicht nicht viel an. Hier im Fjordland muss man das aber immer von null Metern aus angehen, und damit reicht die genannte Zahl fuer Nordeuropas høchsten Strassenpass aus. Was es in den Alpen so auch nicht gibt ist das 20km Hochplateao auf 12-1400m vor dem Pass. Trotz eisigen Windes und einigen Schneeflocken habe ich es aber dort rueber geschafft, was mir auch wieder einige hochgereckte Daumen der unglæubigen Mittouristenschaft in ihren warmen Fahrzeugen einbrachte.
Apropos. Ich habe folgende Beobachtungen gemacht: Auf den ausgewiesenen, oder dafuer bekannten, Touristenstrassen sind 95% all derer die unterwegs sind tatsæchlich Touristen. Auf Nebenstrecken schwankt die Zahl zwischen 20 und 50 Prozent. Das umfasst Wohnmobile, Wohnwagengespanne und sonstige ueberladene Fahrzeuge (was heisst, inclusive Fahrrædern). Deutsche, Hollænder und Norweger teilen sich die Strasse zu etwa gleichen Teilen, wobei wir eigentlich deutlich dominieren. Ab und an sehe ich auch Briten, Franzosen und Østerreicher. Die Reisebusse aus aller Herrenlænder nehme ich nicht ernst. Die deutschen Reisebusse kommen uebrigens ausschliesslich aus osdeutschen Gefilden, wirklich!, oder aus Pløn.
Nachdem ich in den letzten drei Tagen zusammen 385km ueber zumeist stark befahrene Strassen geradelt bin, freue ich mich nun, endlich in den Norden zu kommen. Die Strecke der næchsten Woche kenne ich schon von einer Autofahrt im Mai. Diesmal habe ich aber viel mehr Zeit, die Aussichten zu geniessen. Einfach weil ich die Berge nicht allzu schnell hoch komme.
Noch zwei Nachtræge zur letzten Email: Das was ich ueber Trollstigen geschrieben habe, war ziemlicher Unsinn. Ich darf im folgenden meinen Freund Daniel aus Trondheim zitieren:
Und zum Trollstigen muss ich dir sagen - die Straße ist eigentlich keine Touriattraktion, sondern besitzt viel norwegische Geschichte! War früher ein wichtiger Handelsweg zwischen dem Valldal und Åndalsnes/Romsdalen. Man kann dort auch noch auf dem ursprünglichen Pfad wandern. Irgendwann haben sie dann die Straße dran gebaut - aber ganz sicher nicht für Touristen, sondern weil die Einheimischen über den Berg wollten! ...und gut, du hast den Trollstigen jetzt mit (wahrscheinlich) Unmengen Verkehr gesehen. Habe ich auch schon. Aber wesentlich spannender ist die Sache ohne Verkehr, abends oder nachts, wolkenverhangen ... ich liebe diese Straße :)
Zum letzten Satz muss ich sagen, dass Daniel letzten Samstag/Sonntag das Radrennen “Styrkeprøven”(Kraftprobe) Trondheim-Oslo in 23:26 Stunden gefahren ist. Ein echter Radfahrer also. Nicht so wie ich, der das nur in den Ferien macht. ;)
Das Zeitungsinterview war gestern in der Sunnmørsposten zu lesen. Auf der Internetseite smp.no findet sich leider noch nichts. Der Zeitungsausschnitt ist aber auf dem Weg nach Munster, dank einer Freundin in Vestnes.
Wer im uebrigen keine gescheite Karte zur Hand hat (weil er noch nie in Norwegen war und kein Geographiestudent ist), kann sich meine Route bei meinem Vater angucken. Der bekommt jeden Abend eine sms mit genauer Positionsangabe, die er dann in einer Karte vermerkt.
Ich hætte noch eine Menge zu schreiben. Ich muss aber langsam wieder was essen. Ohnehin verwirbelt der Aufenthalt in der Stadt meinen ansonsten sehr einfachen Tag, der aus drei Dingen besteht: Essen, Schlafen, Radfahren. Das reicht.
Gruss, Florian Trondheim, 30.06.05